Kein Vergeben, kein Vergessen

Was lange währt, wird gut? Über das Phänomen Scooter und die unausweichliche Penetranz des Immerdaseins.

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„Fiiiiiiire!“, der große Blonde springt auf die Bühne mit einer Gitarre um den Hals, aus der Funken sprühen, reißt immer mal wieder die Arme hoch und schreit ins Mikro. Dann wummert die Bassdrum los, das zahlreich anwesende Volk ist in Nullkommanix auf Hundert und wird die nächsten zwei Stunden auch kaum noch runterkommen. So ungefähr muss man sich Konzerte von Scooter vorstellen, daran hat sich mehr oder weniger nicht viel geändert, seit es die Band gibt – außer, dass ganz früher keine Gitarre dabei war, denn Scooter zählen ja eigentlich zu „Techno“. Beziehungsweise zu dem, was man „Kirmes-Techno“ nennt, und mit dem Clubgeschehen à la Berghain oder Tresor außer der Bassdrum nichts gemein hat.
Scooter sind so etwas wie die Könige des Kirmes-Techno, schon, weil sie die Einzigen sind, die es geschafft haben, über anderthalb Jahrzehnte hinweg praktisch immer da zu sein, während der eigentliche Boom schon seit gut zehn Jahren tot ist und die Musikwelt an sich eine gänzlich andere.

Wenn es einen Beweis dafür gibt, dass man einfach nur lange genug dabei sein muss, um dann irgendwann auch mal ein bisschen ernst genommen zu werden, dann sind es Scooter. Groß war das Gelächter als Scooter mit ihrem „Hyper, Hyper“ 1994 auf den gerade mit Volldampf dahinbrausenden Techno-Zug aufsprangen und prompt weit oben in den Charts landeten. Eine überdeutlich einfältige Nummer war das, eine Anbiederung an all die aufgezählten „richtigen“ Technokünstler, zu denen man sich somit einfach mal zurechnen durfte. Heute – anlässlich der eben gelaufenen „größten Scooter-Tour ever“ rennt ein ehemaliger Chefredakteur der Musikgeschmacks-Ikone Spex mit dem brandneuen T-Shirt zum unkaputtbaren Fremdschäm-Monstertrack herum und freut sich diebisch über die erwarteten Missverständnisse. Man kann heute ganz selbstverständlich zu Scooter-Konzerten gehen, ohne nachweisen zu müssen, dass man nur beruflich da sei. Man twittert dann aufgeregt live und schreibt nachher in seinem Blog über die Abenteuer, die es mit dem Scooter-Publikum zu erleben gibt. Wobei das Publikum an sich das Abenteuer ist, denn ein Scooterkonzert ist wie ein besserer Zoo-Besuch, bei dem sich fremde Arten gegenseitig anstarren – nur ohne Gitter dazwischen. Auf der einen Seite der aufgeklärte, Distinktions-bewehrte Musik- und Jugendkulturkenner, der selbstredend wegen der Metaebene da ist, auf der anderen Seite der – nun ja – Scooter-Fan halt.

Der will einfach nur seinen Spaß und ein paar Bier. Und es stört ihn – allermeistens sind es Er’s – vermutlich auch nicht, dass sich der dauergebleichte Frontmann mit dem Augenbrauenpiercing da vorn immer noch unverdrossen „H. P. Baxxter“ nennt, natürlich englisch intoniert, was man sich selbst nicht mal trauen würde, wenn man eine Musik-Groteske plant. Alles an Scooter ist in gigantischer Weise grotesk überzeichnet, billig und lächerlich. Aber man hat sich im Lauf der Jahre daran gewöhnt, dass es irgendwo da draußen eine fremde Welt gibt, einen verzerrten Gegenentwurf von Popkultur, der sich in einer unendlichen Folge von „The Dome“-Sendungen verfolgen lässt, dessen Protagonisten in den Werbepausen von RTL II „It’s fun!“ sagen und die sich in fiesen Klingelton-Chartbrechern manifestiert. Das interessante an Scooter ist, dass sie selbst in dieser Szenerie wirken, als wären sie aus der Zeit gefallen. „You are the posse!“ feuern sie ihr Publikum immer noch an, engagieren Leute wie Ralf Möller für ein Video und finden ein ums andere Mal ein neues altbekanntes Text-Melodie-Fragment, aus dem das Grundgerüst des nächsten Hits gebastelt wird.

Eine Hitmaschine im Wortsinn ist das, ein Popkonstrukt, das ohne jeglichen doppelten Boden auskommt und dem Begriff „mehrdimensional“ verständnislos gegenüber steht. Nun erwartet man in dieser Liga nicht immer gleich den Symbolismus-Overkill einer Lady Gaga, aber ein wenig Selbstdekonstruktion zählt dann gemeinhin doch zum guten Ton, vor allem wenn man länger als eine Saison dabei sein möchte. Auch ein Sido nimmt irgendwann die Maske ab. Scooter dagegen sind Scooter sind Scooter. Es gibt nur eine Ebene, die sieht und hört man, für immerdar und ohne den Hauch von konzeptioneller Entwicklung – sieht man mal von der Frage ab, ob „H. P.“ sich gerade eine Gitarre umhängt oder nicht. Neu ist wie gesagt nur, dass man jetzt plötzlich auch abseits aller Unkultur-Kanäle über Scooter stolpert und seinerseits Unverständnis erntet, wenn man sich darüber wundert. Und vielleicht ist es ja wirklich engstirnig, diesen Spaß nicht verstehen zu wollen, so unmodern, wie immer noch aus Prinzip keine Bild zu lesen oder bedruckte Stoffbeutel abartig hässlich zu finden. Eben irgendwie gestrig, Feindbild-verliebt und eindimensional. Ein bisschen wie Scooter halt.

Pech, Pannen – und pleite sowieso

Wenn’s kommt, dann dicke und von allen Seiten. Die EMI, einer der vier verbliebenen Major-Musikkonzerne, macht Dauerschlagzeilen. Nur schlechte, versteht sich, denn wir reden hier von der Musikindustrie, da sind gute Nachrichten gerade nicht so en vogue.

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