Der Depeche-Mode-Poster-King vom Scherbelberg

Westpakete, Fahnenappell und Kleinmesse: eine Jugend im Leipzig der Achtziger

Rezension zu „Sascha Lange: DJ Westradio“, Aufbau Verlag; erschienen in Kreuzer 03/2007

Eine seltsame Zeit war das. Der Fockeberg war nur als Scherbelberg ein Begriff, das Conne Island hieß nach Altbürgermeister Erich Zeigner, was aber niemanden interessierte, denn man sprach vom Eiskeller, und die wirklich interessanten Bands spielten meist in Kinosälen. Vor allem war Leipzig in den Achtzigern aber zwei mal im Jahr Messestadt mit expliziten Westkontakten – und sei es beim Betteln um Prospekte bei Matchbox oder Lego. Auch die peinlicheren Momente spart Sascha Lange nicht aus, wenn er zurückblickt. „DJ Westradio“ heißt sein Buch und eine gewisse Trotzigkeit hat er schon im Untertitel verpackt: „Meine glückliche DDR-Jugend“. Denn auch, wenn es in der Mangelwirtschaft wenig zu holen gab, wurde ja doch alles irgendwie besorgt oder wenigstens nachempfunden, was für ein anständiges Teenagerleben an Bedeutung war: Westmusik, Westklamotten, Westposter und sogar Westsubkultur. Vor allem, wenn man die richtigen Kontakte hatte.
Ein wenig privilegiert auf Ostart war der junge Sascha denn auch, mit spendabler Westverwandtschaft gesegnet, mit immerhin 80 Depeche Mode-Postern an der Wand und vom libertär-christlichen Elternhaus vor allzu drastischem Staatseinfluss behütet, soweit es eben ging. So wurde aus ihm einer, der ein Leben in der Nische suchte und das Glück hatte, nie ernsthaft mit dem Herrschaftsapparat aneinander zu geraten, bevor in der „Heldenstadt“ die Selbstauflösung des absurden Zonenstaats eingeleitet wurde.
Eine Biografie, gar Lebensbeichte im engeren Sinne oder literarisch verfeinert ist das alles nicht. Flott geschrieben allerdings und ein quietschbuntes, detailverliebtes, gelegentlich unweinerlich-melancholisches Kaleidoskop der Erinnerungen bietet Lange – einen immer noch genügend naiv-unschuldigen Innenblick auf eine Jugend in der vielleicht am wenigsten tristen Stadt des Arbeiter- und Bauernstaates. Inklusiver vieler Déjà-Vus für Leser, die zur gleichen Zeit in Leipzig jung waren. Den Rest wirds sicher weniger interessieren. Aber danke, dass es mal jemand aufgeschrieben hat. Bevor die Erinnerung endgültig verblasst, wie es wirklich war, damals in der DDR.
Augsburg

www.scherbelberg.de

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