Das ist Pop!

Top-Organisation, freundliches Publikum und über den Abend ein bisschen zäh: „Der große Preis“ ist wieder da.

Review zum Leipziger Bandwettbewerb „Großer Preis 2010“; erschienen in der Leipziger Volkszeitung, 25.10.2010

Der erste Satz des Abends ist natürlich eine glatte Lüge: „Wir freuen uns, heute eröffnen zu dürfen“, sagt Thomas Stötzner in sein Mikrofon und beäugt dabei argwöhnisch den noch sehr lichten Raum vor der Bühne, auf der seine Band Elster Club steht. Es ist Punkt 19 Uhr und „Der große Preis“ beginnt. Nach drei Jahren Pause treten wieder acht Leipziger Bands nacheinander an, wollen „Die Leipziger Band des Jahres“ werden. Ein Neustart, der organisatorisch rundum gelungen ist und immerhin 600 Interessierte ins letztendlich gut gefüllte Werk II zieht.
Aber erstmal ist es noch sehr früh, und als Elster Club ihre halbe Stunde mit dem besten und mitreißendsten Song des Abends abschließen, ist klar, dass sie auf den Publikumspreis keine Chance haben, weil die nötigen Mehrheiten noch nicht im Saal sind. „Das ist Pop!“ skandieren sie zum Sequenzersound wacker im Chor, nachdem Gitarre und Bass weggelegt sind, und bleiben die einzige Band des Abends, bei der man eine gewisse Affinität zu aktuelleren elektronischen Sounds konstatieren darf. Und die einzige, die schon im Vorfeld daran gedacht hat, dass eine Präsenz am Merchandise-Stand eigentlich auch eine ganz gute Methode für die Basisarbeit an der Publikumsfront ist.
Dieser „Große Preis“ wird ein langer Abend, was nicht nur der Anzahl der auftretenden Künstler geschuldet ist, sondern auch einer gewissen Zähigkeit der musikalischen Darbietungen. Eine echte Überraschung bleibt aus, mehr oder weniger routiniert wird das Programm meist heruntergespielt; zwei, drei mal zu oft ertappt man sich bei dem Gedanken, dass eine halbe Stunde vielleicht schon zu lang ist für eine knackige Selbstpräsentation. Rückblickend fragt man sich, ob es unter den Einsendungen im Vorfeld wirklich keinen guten HipHop- oder Electronica-Act gegeben hat, der dem Abend eine weitere Klangfarbe verpasst hätte. Das Publikum bleibt denn auch durchweg freundlich, lässt sich aber in Sachen Euphorie kaum aus der Reserve locken.
Es folgt dieser Logik des Abends, dass die letzte Band den Publikumspreis abräumt. Li Hanabi warten mit solide groovenden Indiegitarren auf und bestechen vor allem mit ihrer patenten Frontfrau Enna, einem Energiebündel in leuchtend roten Strümpfen, dessen Aufforderung „Hände aus den Taschen! Tanzen?“ nochmal ordentlich Schwung ins Werk II bringt. Das hat in der Tat Ausstrahlung, ist musikalisch sauber in Szene gesetzt und verzichtet auf Exaltiertheiten. Die hat man bis dahin schon das eine oder andere Mal erleben müssen. Bobby & Claude, die zweite Band des Abends hat offensichtlich keine Berührungsängste mit dem ganz großen Gefühl. Von allem ein bisschen zuviel, scheint das Motto der eigentlich als Duo firmierenden Hausband des Kleinkunstclubs Horns Erben zu sein, deren jazziger Kammerpop hier in breitwandigen Kitsch ausufert und der deutlich die gesanglichen Fähigkeiten des Frontmannes überfordert. Das hat er mit einem enervierend mitteilungsfreudigen Ian Cox gemeinsam – dessen Cox And The Riot waren mit ihrem hibbeligen Indierock nach dem Anhören der Vorabtracks von vielen in der Jury als Geheimtipp gehandelt worden, können diesen Bonus aber nicht über ihren Auftritt retten.
Gänzlich einem Retrogitarrenpop-Konzept ergeben sich Computer Says No, flott von der Hand geht das, nur auch hier wieder die schmerzhafte Erkenntnis, dass schiefer Gesang nicht immer als charmant durchgeht. Singen kann Neo Kaliske. Der allerdings wirkt mit Schellenkranz-Stadionposen und Schüttellocken-Frisur wie aus der Zeit gefallen, eine Art männlicher Silbermond, dessen lyrische Banalitäten unweigerlich an die Allerweltsweisheiten des Ostrock erinnern. radiN:ation versuchen sich im erwachsen-melodischen Gitarrenpop, singen von „Lonely Days“ und kleben ihren Sound leider mit dicken Synthieflächen zu. Eva Croissant dagegen setzt als Genre-Außenseiterin ganz auf ihren Liedermacherinnen-Charme, spielt in weißen Strümpfen auf der Gitarre, erntet respektvolle Andacht und ärgert sich ein bisschen über den Yvonne Catterfeld-Scherz, den sich der wie immer polarisierende Moderator Ralf Donis – eben erst von der Zeit als Speerspitze des neuen Leipziger Brachialhumors geadelt – in typischer Manier in seiner Ankündigung erlaubt hat.
Eine klarer Favorit kristallisiert sich für die Jury nicht heraus, das Ergebnis ist denkbar knapp. Sieger – und damit „Band des Jahres“ – werden Li Hanabi, die das doppelte Abräumen gar nicht fassen können, fast in Tränen ausbrechen, kaum noch ein Wort herausbekommen, und damit auch noch den virtuellen Sympathiepreis mitnehmen. Zehn Tage im Studio sind so gesichert. Computer Says No werden Zweite, erhalten ein Jahr Unterstützung bei Promotion und Booking. Einen 500 Euro Instrumenten-Gutschein und den dritten Platz fahren Elster Club ein. Dann ist „Der große Preis 2010“ Geschichte und auch, wenn nicht alle musikalischen Blütenträume reiften – dieser Wettbewerb wurde schmerzlich vermisst. Die Rückkehr kann der Leipziger Szene nur gut tun.

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