Die Hamburger Krankheit

Zorn der Jugend, Triumph der Alten: Kristof Schreuf, 1000 Robota, F.S.K. und Die Goldenen Zitronen im Centraltheater.

Review zum Buback-Labelabend; erschienen in der Leipziger Volkszeitung, 7.2.2011

„Wer möchte denn mit seinen Eltern dasitzen und sich das Gleiche angucken? Das ist doch scheiße!“ Anton Spielmann ist Gitarrist, Sänger und Vorsprecher der sehr jungen und sehr angesagten Hamburger Band 1000 Robota. Er und seine zwei Mitstreiter sind ungefähr halb so alt wie fast – und in maßgeschneiderten Herr-von-Eden-Anzügen mindestens doppelt so gut angezogen wie ausnahmslos – alle Leute, die vor ihnen sitzen. Im Centraltheater sind sie die zweite Band des Buback-Labelabends, der aktuellen Leistungsschau der großen Hamburger Independent-Plattenfirmen-Institution.

Sie lassen Nebel wallen, stapeln beachtliche Lärmschichten aufeinander, reizen die kompetent angemietete Anlage im ehrwürdigen Saal voll aus, ihr Bass tut physisch weh. So soll eine Band klingen, die zornig ist und jung und die ganz nach oben will, vor allem weg von der Eltern-Generation, deren umfassender Toleranz man nur noch mit teuren Frisuren, eleganten Lederschuhen und schmalen Krawatten entfliehen kann. Sie schreien ihre Verzweiflung hinaus und sind damit eigentlich genau richtig hier, denn die Adressaten sitzen im Publikum, sie sind gar mit ihnen auf Tour, diese Alten, die partout nicht aufhören wollen, cool zu sein. Dabei sind sie die eigentlich alles andere als „cool“, mit ihren verschlurften Klamotten und bis zu 30 Jahren Bandgeschichte auf dem Buckel.

Als F.S.K. auf die Bühne treten ist klar, dass dieser Abend den Alten gehört. Plötzlich sind sie weg, die Abgeklärtheit des Publikums, das verstohlene Mitwippen, die „Lass-die-Jungen-sich-mal-austoben“-Reservierheit, das gegenseitige Anfremdeln zwischen Bühne und Saal. „Woher kennt ihr dieses Lied?“, fragt Thomas Meinecke ehrlich verwundert nach dem Jubel über den 83er Uralt-Hit „Was kostet die Welt“. Die Bezeichnung „Hit“ ist objektiv besehen eigentlich unangebracht, aber das Publikum sieht das gerade etwas anders. Es will tanzen, die Band und sich selbst feiern für den besseren Musikgeschmack. Es hat ja auch Recht.

Der Abend fängt ruhig an, mit Kristof Schreuf, eine popmusikdeutsche Legende, weil er mit seiner Band Kolossale Jugend praktisch die Hamburger Schule erfunden hat, noch vor Blumfeld und lange vor Tocotronic. Im letzten Jahr veröffentlichte er sein erstes Soloalbum, eine hochgelobte Sammlung von sehr eigen interpretierten Coverversionen quer durch die eigene Musiksozialisation. Als „Bourgeois with a guitar“ präsentiert er sich heute, will dem „dummen alten Scheusal Punk richtig fies das Fell gerben“, singt seine Songs zur Gitarre und ist ein so durch und durch sympathischer Typ, dass man ihn am liebsten ein bisschen knuddeln müsste – oder wenigstens ein Autogramm am Merchandise-Stand holen, wie er anbietet.

1000 Robota möchten dann wie gesagt gar nicht sympathisch sein, klingen eigentlich nicht schlecht, nerven aber tatsächlich mit den selbst bei Wohlmeinenden schon verrufenen Endlos-Ansagen voller pathetischer Ironie-Überhöhung. „Altklug“ nannte sie ihr eigener Labelchef im Interview nicht umsonst, aber immerhin, „Hamburg brennt“ heißt eines ihrer Stücke und damit sind sie eingemeindet im Kontext des Labels. Das hat seit Kurzem eben auch F.S.K. zu bieten, die im internationalen Maßstab wohl größte unbekannte deutsche Band. Ausgerechnet Puhdys’ „Alt wie ein Baum“ bekommen sie von ihren jungen Labelmates per Einspielung mit auf den Weg. Tatsächlich ist die Band sogar noch älter als ihr Synthesizer-Dinosaurier Yamaha DX7. Aber heute triumphieren Musiker, die in ihren Texten Walter Benjamin oder Elfriede Jelinek erwähnen, deren Songs „Fragen der Philosophie“ heißen, die Krautrock genau so furios durch die hochgezüchtete F.S.K.-Verweismaschine laufen lassen wie Disco oder R’n’B, und denen es gelingt, die Verhältnisse in diesem unpraktischen Saal mit seinen weichen Polstersesseln zum Tanzen zu bringen, wenigstens im schmalen Raum vor der Bühne.

Der füllt sich dann endgültig, als Die Goldenen Zitronen beginnen, die vormaligen Punks, die immer verquer zum Zeitgeist standen und ihn damit auch immer genauer sezierten, als andere Bands in diesem Land. „Die Hamburger Krankheit“ läuft hinter ihrem gewohnt aufgeputzten Auftritt, ein einigermaßen obskurer deutscher Arthaus-Seuchen-Film aus den Spätsiebzigern, nur dass der Soundtrack diesmal nicht von Jean Michel Jarre ist, sondern von den „Goldies aus Hamburg“, deren Schorsch Kamerun seine komplexen Endlos-Texte präsentiert, als ob gerade der Ingeborg-Bachmann-Preis zur Disposition stünde. „Jung erwachsen, dafür immer jung“ heißt es in ihrem Song „Auf dem Platz der leeren Versprechungen“, er passt natürlich perfekt in diesen Abend, den sie souverän auf ihre sehr eigene Art zu Ende rocken. Fast schon als eine Art Postpunk-Grateful Dead funktioniert das Kollektiv mit seinem kompromisslos angelegten Sound, der keine Kunstpause und keinen Hit mehr braucht. Der Infizierungsgrad dieser bösen Tanzmusik ist enorm.

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