The Spex’ are not alright

Max Dax, der Chefredakteur der Spex geht. Und nun? Wahrscheinlich nix.
10/2010

Eigentlich will man nur erstmal schnell schauen, was auf dem CD-Beileger so drauf ist, man macht das heutzutage ja so, wenn man sich doch mal noch eine Musikzeitschrift kauft, auch wenn die mehr oder weniger ungehört im Stapel mit all den anderen Beileger-CDs landet, die sich halt so ansammeln, wenn man sowas nicht wegschmeißen kann.

Stattdessen fällt einem aber ein freundlicher Brief von Giovanni di Lorenzo in die Hand, der behauptet, er würde sich für „Ihre Meinung“ interessieren, weil er wohl vermutet, das Spex-Leser irgendwie auch an der Wochenzeitung Zeit interessiert sein müssten, deren Chefredakteur er ist. Oder wenigstens an dem Trolley, den man als Probeabonnent auch gleich noch abstauben könnte. Es scheint gerade Trolley-Zeit zu sein. Als Preis für die Teilnahme am alljährlich fälligen Spex-Leserpoll ist auch einer im Angebot, wer genauer hinschaut, stellt fest: aus der Kollektion „Authentic Post Pop“. Ausgerechnet.

Schon sind wir mitten drin in im weiten Feld, das mal so etwas wie die Kernkompetenz der Spex war. Nur dass es hier eben nicht um Popkultur – „Magazin für Popkultur“ steht immer unter dem Titel – sondern um eine Tasche auf Rollen geht, nicht mal besonders chic, eine stinknormale Marketingkooperation also. Die CD ist natürlich auch so etwas, allerdings bezeichnet sich der Mensch, der hier mit den Marketingbeauftragten der Labels aushandelt, was da so drauf darf – zum gegenseitigen Nutzen, versteht sich –, als „Kurator“. Da muss man auch erstmal drauf kommen.

2007 zog die Spex von Köln nach Berlin, vorausgegangen war eine monatelange Gerüchteschlacht, am Ende wurde nahezu die komplette Redaktion, inklusive Chef, ausgewechselt. Eine feine Tour oder wenigstens auch nur anständig war das natürlich nicht. Aber das herkömmliche Verlagsgeschäft – und dazu gehörte die Spex seit einigen Jahren – macht halt auch wenig Gefangene. So what – neues Team, neues Konzept, neue Erscheinungsweise. Begonnen wurde ausgerechnet mit dem editorialen Abschmettern der legendären Aussage des nicht minder legendären Spex-Urgesteins Diedrich Diederichsen, der 1992 in der Hochphase der Spex-Diskurs-Kultur und angesichts der im Gange befindlichen reaktionären Kaperung der Popkultur in einem Essay „The kids are not alright“ formulierte. Chefredakteur war seit dem Umzug Max Dax (ein Künstlername klar, aber mit dieser Art Alliteration hat es die Spex-Redaktion seither irgendwie, ständig stolpert man über Namen wie „Walter W. Wacht“, „Wibke Wetzer“ oder „Luci Lux“). Der hat eben verkündet, diesen Posten zu räumen, was immer noch gut genug für einige Meldungen in Branchendiensten und im Feuilleton ist und ein Anlass, nochmal genauer in und auf die Spex zu schauen.

Was macht nun die „Ära Dax“ aus, außer der zunehmend verblassenden Erinnerung, dass man für den aufmerksamkeitspotenten Karriereschritt als Spex-Chefredakteur auch mal bereit sein muss, über Leichen zu gehen? Oder abseits der wahrscheinlich nur Nicht-Berlinern auffallenden penetranten Hauptstadt-Zentriertheit rund um Hipstermilieu-Befindlichkeiten und Berghain-Kult? Ganz genau einmal hat man während der letzten drei Jahre in noch interessierten Kreisen über die Spex diskutiert. Im Januar 2010 wurde die Abschaffung der Plattenrezension verkündet, statt dessen ein „Pop-Briefing“ postuliert. Ein – sic – Marketing-Coup war das nochmal, löste eine mittelschwere Feuilleton-Diskussion über das „Ende der Musikkritik“ aus, gespannt wurde erwartet, was denn die versprochene Round-Table-Diskussion mehr Erhellendes zu bieten haben könnte, als der plötzlich geschmähte Ur-Ansatz jeglicher Kritik, nämlich Deutungshoheit über ein künstlerisches Werk zu erlangen.

Einige Ausgaben später – also jetzt – ist all das damalige Gequatsche von dem Verzicht auf – so Max Dax – „sprachliche Eitelkeiten und bloße Geschmacksäußerungen“ nur noch Makulatur. Denn nicht nur, dass diese verschriftlichte Pseudodiskussion nach menschlichem Ermessen schlicht unlesbar ist (als Spex-Leser sollte man da bekanntermaßen abgehärtet sein, wenn auch eher aus Gründen einer gewissen inhaltlichen Schwerlast). Aus der Analyse und Einordnung – oder wenigstens dem Versuch dazu – wurde unversehens ein gegenseitiges Namens- und Stil-Dropping-Bombardement, eine Art „Ich-kenne-mehr-Bezüge-als-du“-Schwanzvergleich, der für alles mögliche taugen mag, vor allem als Selbstdarstellung, nur nicht als Musikjournalismus, wie man ihn von Autoren eines ernstzunehmenden Musikmagazins wohl erwarten sollte.

Aber halt: Es geht ja nicht um „Musik“, sondern um „Popkultur“. 20 Seiten des aktuellen Heftes handeln von Mode – die gute Hälfte davon als Fotostrecke, an deren Platz man sich das mühsame Verfassen von (vermutlich auch noch teureren) Texten sparen kann. Es gibt auch jede Menge Kunst, Literatur, Film; die letzte Ausgabe widmete sich sogar hautsächlich dem Theater. Ein Kulturmagazin ist das also tatsächlich, sicher hat das seine Berechtigung, findet Leser, stabilisert die Auflage. Aber es ist natürlich auch auf seine Art beliebig und lässt vor allem eines vermissen: Leidenschaft. Wegen der hatte man all den Vorgängergenerationen der Spex nachgesehen, was sie gerade vermeintlich falsch machten oder was viele einfach nervte; alles war dabei von akademischer Verkopftheit bis forciertem Bedeutungsverlust.

Es mutet angesichts seiner eigenen Inthronisation jetzt fast wie ein Treppenwitz der Spex-Historie an, dass – wie kolportiert wurde – Max Dax nicht einverstanden gewesen sei, dass die Redaktion personell (also finanziell) ausgedünnt wurde. Oder vielleicht will er wirklich nur sein Buch schreiben oder wird vom Verlag irgendwo anders platziert. Ändern wird sich an der Linie sicher nichts, schon gar nicht schnell und die frühere Meinungs-Lufthoheit sowie das Gespür für kommenden, nicht nur die gerade herrschenden Trends sind natürlich unwiederbringlich. Aber so ganz egal ist es dann doch nicht, weil man bei der Spex eben immer noch genauer hinschaut als bei jedem anderen Musikmagazin des Landes. Auch wenn es nur um simple Plattenkritiken geht. Oder gerade deshalb.

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