Wahnsinn mit Methode

Noch lange nicht in der Auslaufrille: Das Monster-Kompendium „Grand Zappa“ nähert sich dem genialischen Werk des Ausnahmekünstlers strikt methodisch und absolut unkonventionell.

Rezension zu “Frank Wonneberg: Grand Zappa”; erschienen in Kreuzer Buchmesse-Beilage 03/2011

Wir leben endgültig in einer Welt der Nerds, hört man derzeit allerorten, die Larry Pages und Mark Zuckerbergs hätten jetzt das Ruder übernommen. Das ist natürlich Unsinn, weil die Macht bekanntermaßen immer noch bei jenen liegt, die das Kapital beherrschen. Bei jenen also, die inzwischen nicht nur Schwer- und Informationsindustrie beherrschen, sondern auch die Musikindustrie, die irgendwann in den Neunzigern plötzlich enorme Rendite versprach, weil die Compact Disc enorm billig war, dem Verbraucher aber locker zu überhöhten Preisen angedreht werden konnte und ihn obendrein auch noch dazu verleitete, alte Alben noch einmal zu kaufen. Heute ist die Rendite im Keller, die CD ein Auslaufmodell, die gute alte Vinylplatte dagegen wieder en vogue – und Nerds bestimmen immer noch nicht die Geschicke der Musikhistorie. Aber sie erklären sie vielleicht besser als andere.

Unter allen Musiknerds ist der Vinylfreak sicher der sympathischste – was nicht heißt, dass man mit ihm eine Diskussion über die Vorteile des Auflegens mit einem Laptop beginnen sollte! Aber im Gegensatz zu den – beispielsweise – Audiophilen mit all ihren unglaublich teuren schwingungsfreien Schwermetall-Stereoanlagen und den vergoldeten Kabelsteckern ist die Vinylplatte nicht nur ein allgemein erschwingliches Kulturkonsumgut, sondern auch immer noch ein nicht wegzudenkender Teil einer normalen Musiksozialisation vor den Neunzigern.

Die Geschichte der Popmusik ist eine der Vinylplatte. Erst mit ihr kam die Reproduzierbarkeit dieser Kunst auf ein Niveau, das einen Massenmarkt schuf und damit das Entstehen der Musikindustrie, ein (zumindest in der westlichen Hemisphäre uneingeschränktes) weltweites Vertriebs- und damit Starsystem sowie das „Album” als musikalische Kunstform überhaupt ermöglichte. Frank Wonneberg ist ein erklärter Vinylfreak, jemand, der sich auskennt mit Produktionsschlüsseln, Audiodynamiken, Labelettiketen und all dem, was dort draufsteht und was man als gemeiner Hörer nie wirklich wahrnimmt. Nach einigen aufschlussreichen Fachbüchern zum Thema Schallplatte hat er sich jetzt das Gesamtwerk des Über-Musikers Frank Zappa vorgenommen, von dem er – das ist damit dann auch absolut zweifelsfrei verbürgt – ein intimer Kenner ist.

„Grand Zappa“ ist riesig, sperrig, spannend, umfassend und – nüchtern betrachtet – das Werk eines Wahnsinnigen. Oder wie sollte man sonst ein Pojekt einordnen, das einem das Schaffen eines bedeutenden Musikers anhand von Matritzenkrakeleien erklärt, die in den Auslaufbereich seiner Schallplatten gepresst worden sind, und mit Bildern von den verschiedenen Rillenverläufen der unterschiedlichen Pressungen eines Albums? Das Beeindruckendste daran ist, dass dieser Ansatz tatsächlich funktioniert. Schon die Fülle des Materials lässt dabei erschaudern. Denn Zappa veröffentlichte praktisch schneller, als man hinterherhören konnte, war so unglaublich produktiv, dass es den normalen Regeln des Albummarktes Hohn sprach und auch für beinharte Fans praktisch unmöglich war, den Output in Echtzeit angemessen zu verfolgen.

Wonneberg beleuchtet akribisch die schier unglaublichen 42 (zum Gutteil Mehrfach-)Alben, die Zappa in gerade mal 25 Jahren zu Lebzeiten, also eigenhändig, veröffentlicht hat (ein gutes Dutzend weitere werden darüber hinaus einbezogen), dokumentiert die Eigenheiten samt Soundeindruck und Produktionstechnik, vergleicht mit den CD-Neuauflagen und bebildert die weltweiten Pressungen. Und – das ist dann das eigentlich erhellende Lesevergnügen – er ordnet das hochkompetent und äußerst schlüssig in das Gesamtwerk Zappas und den immer mitschwingenden musikalischen und gesellschaftlichen Zeitgeist ein. So ergibt sich ein nicht nur Vinyl- und audiotechnisch sondern auch Pop-historisch hochinteressantes Kaleidoskop, das einem die gerade in Deutschland immer noch ungebrochene Faszination des Rock-Avantgardisten tatsächlich näher zu bringen vermag.

Dabei ist Wonneberg keineswegs die rein objektive Institution, der neutrale Zappa-Archäologe, der nur die Fakten liefert. Es ist gerade seine persönliche Nuance, die aus der reinen Fleißarbeit nicht nur ein höchst lesenswertes Buch, sondern ein wirklich großartiges Standardwerk über das Schaffen von Frank Zappa macht. Ob er sich – auch hier sachlich fundiert – ein wenig echauffiert, weil die Musikpresse gern „Hot Rats” mit Miles Davis’ fast gleichzeitig erschienenem Meilenstein „Bitches Brew” in einen Topf wirft (was übrigens nicht zu Ungunsten von Davis Mitmusikern ausgeht) oder ob er die Meinungsdifferenz mit seiner Frau zu „Does Humor Belong In Music“ thematisiert. Sogar, wer aus all dem fantastischen Großwerk Zappas, den Unmengen von musikalischem Material, den oft genug verwirrenden Stilkonzepten und den sich oftmals widersprechenden Ansichten von seinen „Fans” und Zappa selbst, d a s e i n e Album herausfinden will, ist bei Frank Wonneberg gut aufgehoben: Mit Inbrunst legt er sich auf „Joe’s Garage“ fest, das Dreifach-Album, auf dem Zappa „so authentisch und emotional spürbar wie niemals sonst in seiner Karriere” sei. Am Ende geht es bei Musik eben immer um mehr als um die Art des Vinyls, auf der sie gespeichert ist. Zappa selbst war übrigens von Anbeginn der Verfügbarkeit ein leidenschaftlicher Verfechter der digitalen Musikproduktion. Auch das kann man hier nachlesen.

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