„Arm“, klar, aber wo bleibt „sexy“?

Wirtschaft fördert Kultur? Gut! Aber auch Kultur ist Wirtschaft. Und mehr.

Gastkommentar; erschienen in Kreuzer 04/2007

„Rosig sieht die Gegenwart leider nicht aus“, bilanziert Kulturbeigeordneter Georg Girardet das Verhältnis von Kultur und Wirtschaft in Leipzig schlicht nach dem Rückgriff auf „für das Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts identitätsstiftenden Initiativen“. Jaja, die guten alten Zeiten, in denen „selbstbewusste Kaufleute den Ton angaben“ und „wohltätiges Wirken dem Selbstbild entsprach“. Ach du je …
Pflichtbewusst dient Leipzigs oberster Kulturvertreter der Wirtschaft also sein Ressort als erprobtes Marketingtool an und beschwört gleichzeitig eine Wiederbelebung von „bürgerschaftlichem Engagement“. So, als ob es das im Leipzig des 21. Jahrhunderts nicht gäbe. Leipzig muss seinen gern offiziell gepflegten deutlich angestaubten Kulturtraditionalismus endlich durch einen zeitgemäßen Kulturbegriff ersetzen.
Zeitgemäß ist ein Verständnis von Kultur, das den kulturellen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt demografischen Gegebenheiten des 21. Jahrhundert Rechnung trägt. Eines, das nicht fatalistisch und sich in einem permanenten Rückzugsgefecht wähnend agiert. Das Kultur als alltäglichen Prozess ästhetischer Auseinandersetzung, als sicher nicht nur intellektuellen Genuss und anregende Unterhaltung begreift. Diese Kultur wird immer von Menschen – Bürgern – möglich gemacht, die hier leben und hier arbeiten und diese Kultur wiederum auch nutzen.
Ja, es ist ein hehres Anliegen und per se begrüßenswert, wenn sich potente Wirtschaftsunternehmen – PC-Ware oder BMW, aber auch die kleine noch nicht mal mittelständische Druckerei im Hinterhof, die zum Beispiel unser Programmheft drucken will – ungefragt aktiv werden, um Kultur zu fördern. Gern auch mit einer „Kulturmesse“, wenn sie denn gut gemacht ist. (Der Auftakt gebende „Kongress“ war – mit Verlaub – nicht gut gemacht.)
Aber Sponsoring ersetzt keine Kommunalpolitik.
Es scheint sich ausgerechnet im Rathaus der an großen Visionen sonst nie armen Stadt Leipzig noch nicht herumgesprochen zu haben, dass sich Soziologie, Kultur- und Wirtschaftswissenschaften selten so einig gewesen sind wie in einem Punkt: Starkes kreatives Potenzial ist eine der raren Chancen, sich im verschärften Städtewettstreit um Wirtschaftsansiedlungen und Bevölkerungszuwachs zu behaupten. Städte verkaufen sich heutzutage mehr denn je über früher gern als „weich“ geschmähte Standortfaktoren. Kriterien wie „Lebensqualität für junge Menschen“, „günstige Bedingungen für kreative Berufe/Tätigkeiten“, „Außenwahrnehmung als ,sexy’“ haben enorm an Bedeutung gewonnen. Es müsste doch hohe Priorität haben, dies nachhaltig und systematisch zu fördern.
Wie sieht es statt dessen aus? Der seit einem guten Jahr diskutierte „Kulturentwicklungsplan“ spricht seinen eigenen Prämissen – „Jugend“ und „Musik“ – (zumindest aus unserer Sicht) Hohn und ist obendrein immer noch im Entwurfsstadium. Ein „Kulturwirtschaftsplan“, also die fundierte Aufrechnung kulturinduzierter Wirtschaft und der realen kommunalen Effekte kultureller Aktivitäten, existiert nicht nur nicht, sondern ist meines Wissens – ich ließe mich da liebend gern korrigieren – nicht mal in Planung. Und die aktuellen „Kulturpolitischen Leitlinien“ Leipzigs stammen nicht nur buchstäblich aus dem letzten Jahrhundert. Diese Bilanz ist „nicht rosig“.
Aus unserem Blickwinkel, nämlich dem der doppelt freien – nicht staatlich institutionellen, nicht geförderten und obendrein noch „U“-Kultur – Szene ist die Stadt in einer Bringeschuld. Wir wollen nicht mal unbedingt Geld. Wir wollen kommunale Strukturen mit politisch geförderten Visionen und kompetenten Ansprechpartnern, die Kulturträger (auch jenseits der schwer genug erkämpften Euroscene/naTo-Lobby) nicht als Spinner abtun. Denn auch „wir“ – „Pop Up“ ist ein Beispiel und kleiner Teil davon – sind es, die Leipzig zukunftsfähig machen. Wir sind Kultur. Wir sind Wirtschaft. Und wir sind „bürgerschaftliches Engagement“.

Jörg Augsburg gehört zu den Mitbegründern und Organisatoren der Leipziger Musikmesse „Pop Up“, die vom 10. bis 13. Mai zum sechsten Mal die Protagonisten der unabhängigen deutschen Pop- und Rockmusikszene in Leipzig versammelt.

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert