Von Trash-Niederungen zu Hochkultur-Weihen – der Talk zum Leipziger Show-Boom
Moderation: Augsburg
Erschienen in Kreuzer 04/2006
Entertainment von „Schnapslatte“ bis Karikaturenstreit – die Grenzen zwischen Trash und Feuilleton verwischen sich schnell auf den Show-Bühnen der Stadt. Es gibt eine illustre und vielfältige Szene, der Show-Boom in den Leipziger Clubs erlebt einen ungebrochenen Aufschwung. Das zahlreiche Publikum erfreut sich auch ohne heimischen Fernseher an Talk mit mehr oder weniger prominenten Gästen, bissigen Kommentaren zur Zeit, selbtsdarstellungswilligen Newcomern, an Literatur, Musik und – neuerdings – sogar Kochen. Vier Show-Macherinnen und -Macher unterhalten sich im KREUZER-„Talk“ über das Agieren im Scheinwerfer-Licht, den Umgang mit Gästen, moralische Grenzen und ihre Motivation weitab vom Broterwerb.
Was ihr macht, fällt gemeinhin unter den Genrebegriff „Kleinkunst“.
Anja Niemann: Ich gehe!
Ralf Donis: Ich weiß nicht, wodurch und wann sich „Kleinkunst“ zum Schimpfwort entwickelt hat. Aber irgendwas muss der Grund sein, warum man immer zusammenzuckt, wenn jemand das Wort sagt.
Andre Kudernatsch: Das ist beim Kabarett genauso.
Donis: „Kabarett“ ist auch zum Zusammenzucken. Was verbindet man denn so Negatives mit Kleinkunst?
Kudernatsch: Kein Geld!
Donis: Ich seh da immer schlecht dargebrachte Zauberkunststücke vor meinem Auge.
Kudernatsch: Und wenig Publikum.
Das sind natürlich Dinge, die es bei euch allen nicht gibt: schlechte Kunststücke auf der Bühne und wenig Publikum!
Niemann: Hmm … naja … schlechte Kunststücke …
Ihr seid Show-Macher. Ihr müsst euch selbst in Szene setzen, steht oft direkt im Scheinwerferlicht …
Donis: Am Anfang hat man damit schon Probleme. Wenn man das noch nicht hundertprozentig kann, sich in Szene zu setzen, kaschiert man das, indem man sich Gäste einlädt. Von denen erhofft man sich, dass sie 50 Prozent des Abends mitgestalten. Da ist man glücklich mit einem Gast, der auch entertainen kann. Sich selbst mit dem richtigen Timing in Szene zu setzen, lernt man erst über die Jahre. Und jetzt haben wir bei den „Toledo Nites“ endlich gesagt: Wir brauchen keine Gäste, wir bringen nur uns selbst!
Kudernatsch: Bei mir ist es gerade umgekehrt. Ich lade mir sehr gerne Gäste ein und nehme mich dann auch zurück, wenn ich merke, dass die gut erzählen, dass die toll agieren. Wenn ein Olaf Schubert da ist, was soll ich dann versuchen, den zu killen? Solche Gäste lass ich also gern machen und unterhalte mich auch gern mit ihnen. Der Gast ist der Wichtigste.
Donis: Man muss aber auf jeden Fall ein bisschen Rampensau sein.
Janine Stoye: Da würde ich mich lieber rausnehmen. Bei mir ist es immer so gewesen, dass ich sehr wenig auf der Bühne agiere. Die ist eher eine Plattform für die Show an sich. Und was mich dann vielleicht zum „Show-Macher“ macht, ist tatsächlich mehr das Machen im Hintergrund.
Aber auch hast dich ja auf die Bühne gestellt und dich zu erkennen gegeben: „Hier, das ist meine Show!“
Stoye: Das ist dann eher ein roter Faden, der sich durch meine Person ergeben hat. Das aktive Gestalten und die Unterhaltung auf der Bühne geschah ausschließlich durch die Gäste. Was bei „Toledo Nites“ passiert, würde ich mir nicht zutrauen: zwei Stunden man selbst zu sein und konstant witzig.
Niemann: Ich mache gerne was zu zweit. Wenn man jemanden gefunden hat, der ähnlich tickt oder vielleicht den gleichen Humor hat, kann man sich unglaublich gut die Bälle zuwerfen. Alleine moderieren ist der Tod. Das habe ich auch schon mal versucht. Aber dann hast du mal einen Aussetzer oder hast dich verquatscht, dann gehts nicht weiter. Wenn du zu zweit bist, springt immer der andere ein. Ob mit Gästen oder ohne, ist dann eigentlich egal. Natürlich ist es mit Gästen unterhaltsamer, weil dann neue Energie reinkommt.
Donis: Zu zweit muss auf jeden Fall die Chemie stimmen. Und auch da müssen sehr viele Erfahrungswerte ins Land gehen, bis sie stimmt und man sich nicht nur ins Wort fällt, sondern wirklich ergänzt.
Niemann: Genau. Bei mir war es übrigens auch so: Irgendwann verliert man die Angst. Am Anfang war ich total aufgeregt, das habe ich jetzt überhaupt nicht mehr. Ich freu mich auch total darüber, dass mir nichts mehr peinlich ist. Es passiert was und man sagt: „Jetzt ist es gerade mal nicht so unterhaltsam. Weiter gehts.“ Man traut sich, viel normaler zu sein.
Inwieweit plant ihr durch, was auf der Bühne passieren soll. Ist das eher eine exakte Minutentaktung oder „Mal sehen, was kommt“?
Niemann: Ich gehöre zur „Mal sehen, was kommt“-Fraktion.
Stoye: Bei uns war es immer auf dem Punkt getimet. Da gerät man dann schon mal ins Schwitzen, wenn ein junger Poet, der sich dann auch noch als nicht all zu sehr talentiert herausstellt, zehn Minuten länger auf der Bühne sitzt.
Kudernatsch: Dadurch, dass wir auch – in Anführungszeichen – „große“ Gäste haben, muss es schon einigermaßen durchgestrickt sein. Es gibt keine Minutenvorgaben aber einen Ablauf, wer wann dran ist. Wenn jemand wie Fips Asmussen knallhart sagt, er geht in der Pause, wäre es natürlich blöd, ihn erst nach der Pause einsetzen zu wollen. Solchen Leuten gegenüber muss man eine gewisse Professionalität vorzaubern. Auch die Band – das sind Hallenser! – muss ja wissen, wann sie spielt.
Niemann: Das ist immer ganz unterschiedlich. Gerade in der „Notaufnahme“ gibt es Sachen, die fünf Minuten vorher entstehen, da wird nie was geplant. Für eine AIDS-Gala in der Moritzbastei beispielsweise mussten wir dann schon ein richtiges Programm entwickeln.
Donis: Für mich ist es ein Gewinn, dass man es mittlerweile geschafft hat, auf ein Zeitlimit zu kommen. Bei meiner allerersten Show, haben wir es geschafft, viereinhalb Stunden zu machen – statt zwei. Da wurden nur die Themen geplant und wer der Gast ist. Das war so anarchisch, dass wir selbst Standup-Sachen nur im Ansatz geplant haben. Nach dem Motto: Mal sehen, ob eine Pointe kommt, oder nicht. Ob sich was entwickelt – oder wir halt abkacken. Mittlerweile gibt es so geplante Programmfenster, bei denen man den zeitlichen Ablauf einschätzen kann und es gibt ab und zu sogar bei den Standup-Teilen schon eine erarbeitete Pointe. Wir sind also jetzt ganz stolz darauf, dass wir um die zwei Stunden liegen. Wahrscheinlich, weil wir keine Gäste mehr haben. (alle lachen)
Andre, du gehörst ja zu den Show-Opas in der Stadt …
Kudernatsch: Es war im Oktober 98 in Ilses Erika, als alles begann. Da gabs auch die „Chrisse Krass Show“, die fand ich großartig. Und ich war immer ganz traurig, dass Chrisse so eine tolle Show machte – ich selbst fand mich gar nicht so toll. Bei dem war immer was los, und ich hatte irgendwie zwei Literaten, die was vorgelesen haben. Also hab ich irgendwann angefangen, die zu interviewen und dann haben die Leute von der Ilse gesagt: „Mensch, das ist ja viel lustiger, wenn du mit denen redest, als wenn die ihren Mist vorlesen.“ Und so hat sich das nach und nach zur Talk-Show entwickelt.
Muss man da ein geborener Kasper sein?
Kudernatsch: Ich denke, es hilft.
Die „Kautsch“ ist ja praktisch der Platzhirsch in der Show-Szene …
Kudernatsch: Na, ich weiß nicht.
… sie existiert am längsten, findet in einer größeren Location statt und hat die größten Gäste.
Kudernatsch: Das mit den Gästen ist ja nur möglich, weil es inzwischen Sponsoren gibt.
Du hast sogar Sponsoren?!?
Kudernatsch: Ja, die Sparkasse und Marktkauf. (allgemeine Heiterkeit) Da gibts nichts zu lachen! Die haben mir Fips Asmussen ermöglicht! Und Roberto Blanco! So was war mit dem Budget damals in der Ilse einfach nicht möglich.
Niemann: Was nimmt denn Roberto Blanco für so einen Auftritt?
Kudernatsch: Das darf man natürlich nicht verraten!
Stoye: Hat man da die Kunstfigur Roberto Blanco auf der Kautsch sitzen oder kommt man tatsächlich an den Menschen ran?
Kudernatsch: Da kommt man wirklich ran. Ich hätte vorher auch nicht gedacht, dass gerade die großen Show-Schiffe eigentlich richtig nett sind und auch allen Quatsch mitmachen. Roberto Blanco hat sich da auf alles eingelassen.
… was nicht wirklich verblüffend ist, oder?
Kudernatsch: Das macht dann schon Spaß. Oder wenn Leute, die man früher, als man noch ganz klein war, aus dem Fernseher kannte, tatsächlich da sind.
Niemann: Bist du dann aufgeregter?
Kudernatsch: Nee, eigentlich nicht. Aber wenn man sie anfragt, muss man immer ganz dolle lieb sein. Man blendet sie natürlich auch ein bisschen mit den Gästen, die schon da waren, damit die sich untereinander austauschen. Ich hatte mal Peter Escher da und der hat dann Lippi angerufen, er solle da nicht hingehen, das sei ganz schlimm! Lippi hat mich dann angerufen und ich hatte an dem Tag gerade Geburtstag. Ich hab ihm dann gesagt, er könnte nicht absagen, ich hätte Geburtstag. Da hat er gesagt: „Okay, dann komme ich doch.“ Er hats nicht bereut, das war dann ja auch mit Achim Mentzel.
Niemann: Wolfgang Lippert und Achim Mentzel? Geil!
Könnt ihr auf ein Stammpublikum bauen?
Donis: Man versucht zumindest, sich eins zu erarbeiten. Das ist eine harte, relativ langwierige Arbeit. Das macht dann aber schon mal soundso viele Plätze voll, so dass es gut aussieht, wenn auch Nicht-Stammgäste reinschauen. Bei jeder Show, bei der ich mitgewirkt habe, gab es so ein spezifisches Stammpublikum.
Stoye: Gerade in Ilses Erika hat das Publikum auch den Show-Dienstag im Kopf. Die wissen, dass irgendeine Show ist, und brauchen dann bloß noch entscheiden, ob sie zu der jeweils gerade stattfindenden gehen wollen.
Kudernatsch: Ich musste mir eigentlich immer mal wieder ein neues Stammpublikum erspielen. Natürlich durch den Wechsel in die Moritzbastei, aber auch, weil es die Show schon acht Jahre gibt. Leute, die vor acht Jahren mal hingegangen sind, haben inzwischen einen Beruf und Familie und gehen nicht mehr zu solchen Shows oder sind gar nicht mehr in Leipzig. Aber es gab da nie einen wirklichen Knick. Und jetzt ist es durch die besonderen Gäste auch so, dass dann die Fans von dem speziellen Gast kommen, also die Fips Asmussen-Fans zum Beispiel.
Niemann: Die „Notaufnahme“ gibts ja erst seit Herbst und ich war völlig überrascht, wie das eingeschlagen hat. In diesem kleinen Raum sind dann jeden Freitag 200 Leute. Bei schlechter Luft dann natürlich. Und ich glaube, es kommen auch ein paar wegen der Show an sich. Aber durch die Schaufenster haben wir vielGottschedstraßen-Laufpublikum. Das ist manchmal sehr interessant. Das ist für die Leute wahrscheinlich eine Art Wundertüte, die wissen ja nie, was an dem Tag gerade passiert.
Ist es wünschenswert, das Publikum einzubinden?
Niemann: Es gibt natürlich so ein paar Großmäuler mit dummen Sprüchen, die sind anstrengend. Aber ansonsten …
Donis: Wir planen eigentlich fast immer eine „interaktive“ kurze Sache bei jeder Show. Das bindet die Leute viel besser. Neulich haben wir beispielsweise die OBM-Wahl vorweggenommen. Ich habe zu jedem Kandidaten eine kurze Antrittsrede gehalten, es gab richtig vorgedruckte Wahlzettel und die Leute konnten in der Pause wählen …
Wer hat gewonnen?
Donis: Dietmar Pellmann! (der PDS-Kandidat, d. A.) Also solche Sachen kommen gut an. Und für die Extrem-Zwischenrufer, diese Kaputtmacher, die man vielleicht mal hat, hab ich immer drei Euro einstecken. Denen würde ich sofort den Eintritt überreichen und sie dann auch bitten, sofort zu gehen. Es ist allerdings noch nie passiert.
Kudernatsch: Es hat da ganz am Anfang der Kautsch so ein Pärchen gegeben, das immer rumstänkerte. Und ohne groß drüber nachzudenken, hab ich dann gesagt: „Na, wenn ihr was zu erzählen habt, dann kommt doch nach vorn!“
Donis: Das kann aber auch nach hinten losgehen.
Kudernatsch: (lacht) Ja! Das ging aber gut. Die standen jedenfalls ganz dumm vorn da und haben versucht irgendwas vorzutragen. Und wurden unter großem Hallo verabschiedet.
Niemann: Es wäre vielleicht ein gute Idee, das andere Publikum abstimmen zu lassen, was mit den Störern passieren soll.
Donis: Zu viel waltende Demokratie nervt die Leute an.
Niemann: Die wollen ja unterhalten werden.
Donis: Und wer zu Shows kommt, die ich mache, will Boshaftigkeiten erleben.
Kudernatsch: Aber wenn jemand zu spät kommt, kannst du schon mal das Publikum fragen und um Handzeichen bitten, ob es einverstanden ist, dass derjenige noch teilnimmt.
Das ist ja die ganz billige Motivations-Masche!
Kudernatsch: Natüüüürlich! Alt und bewährt.
Donis: Eigentlich ist es ja eher so, dass man schon vorab im Kopf selbst auf das Publikum eingeht. Wenn man merkt, dass irgendwas bei den Leuten definitiv funktioniert, dann erarbeitet man die neuen Sachen schon in die Richtung. Man darf natürlich dabei nicht vergessen, auch das zu machen, was man selbst gut findet, von dem man aber schon weiß, dass es nicht so gut funktioniert.
Kudernatsch: Es gab auch mal ’ne Zeit, da hatte ich Geschenke für das Publikum, einen Zimmerspringbrunnen …
Das ist ja noch billiger!
Kudernatsch: … also so Geschenke von meinen Eltern – wie Zimmerspringbrunnen – die sind natürlich sofort etwas für die Show.
Donis: Was für umsonst geht immer! Wir haben ja in fast jeder Show die „Schnapslatte“. Da ist immer irgendein obskurer Likör drin und die Leute greifen bei allem zu, ob es Eierlikör ist oder sonst was … Das Schärfste dabei ist ja, dass man merkt, wie versoffen die Leute sind. Es gab lange Zeit eine Quizshow, wo es richtig um Geld ging. Der ganze Eintritt war der Jackpot, da ist zum Teil richtig viel Geld zusammen gekommen. Aber die ist echt schlecht gelaufen. Jetzt gibt es eine Quizshow, wo man bis zu 124 Flaschen Bier gewinnen kann, und das Ding ist voll!
Niemann: Das ist ja witzig! Das find ich gut!
Gibt es für euch eine Art Show-Hierarchie, also eine Abstufung von „top“ zu „unterirdisch“?
Donis: Es gab da im Ilses Erika ein paar Versuche, wo man selbst interessehalber im Publikum sitzt und diesen Effekt hat, dass man sich selbst mitschämt, obwohl man gar nicht auf der Bühne steht. Aber da muss man auch tatsächlich keine Namen mehr nennen. Eine ganz wichtige Show – Andre hats schon angesprochen – war die „Chrisse Krass Show“. Da hab ich das erste Mal überhaupt so etwas gesehen. Ich wäre selbst nie auf die Idee gekommen, so ein Late Show-Format in einem Club auf der Bühne live für Leute zu machen. Ich war da als Gast und dachte: Wie großartig ist das denn?!? Und schon bei der ersten Show war klar, dass ich so etwas – ganz anders – auch machen will. Das war eine Initialzündung.
Kudernatsch: Es gibt ja auch die richtig „netten“ Shows. „Hopp oder Topp“ zum Beispiel. Das sind richtig freundliche, interessierte Interviews mit den Nachwuchskünstlern. Da geht es überhaupt nicht darum, die irgendwie dumm dastehen zu lassen. Das finde ich für die Sache sehr angemessen.
Stoye: Man muss schon darauf achten, was man dem Publikum anbieten darf – und was nicht. Wir hatten ja auch solche Interviews mit Leuten von der Straße. Die machen sich selbst … nicht lächerlich, aber die Grenze ist sehr dünn. Das Publikum überschreitet die dann schnell, weil es meint, das müsse nun lustig sein, weil es nicht zum eigenen Lebensbereich gehört.
Kudernatsch: Ich weiß nicht, wie es entstanden ist, aber es hieß eine Zeit lang, dass die Leute, die ich einlade, immer fertig gemacht werden. Aber das war gar nicht so. Oder es war, wenn es passierte, nicht geplant. Ich hatte mal Dagmar Frederic eingeladen und wollte die halt nett und lustig interviewen. Dann ist die aber echt zickig gewesen und fing an, richtig böse zu werden. Das war gar nicht meine Absicht, das fand ich blöd.
Donis: Da gibt es eben unterschiedliche Ansätze. Zu unserer „DU Show“ vor ein paar Jahren kamen die Leute genau deswegen. Die wussten, da wird irgendein Gast eingeladen und der wird an dem Abend nackig ausgezogen. Einige von denen grüßen mich bis heute nicht. Das war auch okay und gut aber heute würde ich das anders machen.
Wo liegt denn die moralische Grenze, die man nicht überschreiten will?
Kudernatsch: Ich hab letztens „Wetten dass“ gesehen, da musste sich so ein italienischer Modemensch ausziehen, weil er falsch getippt hat. Das fand ich scheiße. Jemanden in der Show per Publikumsklatschen zu so was zu zwingen.
Donis: Wir haben mal einen Flyer entdeckt – „Putze nackt gratis!“ – und dort angerufen. Wir arbeiten relativ viel mit Live-Anrufen in der Show. Ich bin dann aber ganz schnell in mich zusammen gesunken, der hatte offensichtlich ein echtes Problem. Und der wollte auch total gern in die Show kommen und hinterher kamen die Leute an: „Macht das doch!“ Nein, no way! Aber ich mache auch keinen Grenzenkatalog auf, wo drin steht, was ich nicht mache.
Niemann: Ich glaube, so eine Grenze ist auch eine Frage des Moments.
Das lässt sich nicht planen. Das kommt aufs eigene Adrenalin an, aufs Publikum, darauf, wie der andere auch mitgeht. Mir wird zum Beispiel buchstäblich zu heiß, ich krieg Angst.
Muss es eine gewisse Grundübereinstimmung zwischen Publikum und Show-Macher geben, wen oder was man gut findet, welche Art Humor man mag?
Niemann: Das muss es ein Stück weit schon geben, sonst funktioniert es nicht. Das merkt man auch sofort, die hören nicht mehr zu, quasseln – sofort Unruhe. Das ist wie bei kleinen Kindern, wenn die etwas nicht interessiert, fangen die an miteinander zu reden, egal, ob das jetzt stört. Man muss die schon immer wieder kriegen. Ein Konsens muss schon sein.
Donis: Es muss wohl bei uns auch so sein. Ich war zum Beispiel selbst überrascht, als wir in der letzten Show fleißig karikiert und alle Weltreligionen besudelt haben. Ich dachte vorher, das wäre ein heißes Eisen, also echt herb – aber alle fanden es total lustig und es war einfach nur die große Nummer des Abends. Jemand wollte sogar meine Mohammed-Karikatur mit Autogramm haben. … Vielleicht war das aber auch ein Schläfer, der Beweismaterial gesammelt hat. (alle lachen)
Ist Leipzig wirklich so ein gutes Pflaster für diese Art Entertainment? Zumindest die Angebotsfülle scheint es ja nirgendwo sonst zu geben.
Kudernatsch: Ich mache die Kautsch ja auch in Erfurt und da ist das Publikum ganz anders. Der Thüringer braucht wohl die erste Hälfte der Show, bis er merkt, was passiert und dann lässt er sich erst drauf ein. Inzwischen geht es, aber am Anfang wars ganz schlimm.
Niemann: Die Leipziger gehen tatsächlich wohl besonders gern zu solchen Veranstaltungen. Es gibt ja auch nicht so den Schutzraum wie im Theater, dass man im Dunkeln sitzt und zuguckt, sondern man muss eigentlich damit rechnen, dass man mit reinkommt. Da haben die irgendwie Bock drauf.
Donis: Wir hatten ja auch Gäste aus München oder Hamburg, die uns nach der Show gesagt haben: „So was habe ich noch nie erlebt, so was gibts bei uns gar nicht.“ Leipzig hat da schon eine Ausnahmestellung, mindestens in Hinsicht auf die Vielzahl der Shows. Dabei spricht eigentlich alles dagegen, es gibt ja in Leipzig keinerlei Lobby für solches Late Night-Entertainment. Das merkst du auch an dem relativen Medien-Desinteresse. Außerdem gibt es das Umfeld in dem Sinne gar nicht. In Hamburg kannst du bei so einer Show auch mal Dieter Bohlen als Gast haben, der wohnt da halt. Das wird in einer Stadt wie Leipzig etwas schwierig. Wenn man hier einen fetten Namen haben will, dann kommt Sebastian Krumbiegel. Und der wird wohl auch nicht mehr wiederkommen. (allgemeine Heiterkeit)
Kudernatsch: Da sind eben die Sponsoren ganz gut, man kann mal jemand einfliegen lassen.
Donis: Wenn du in Leipzig eine Literatur-Show machst, dann wissen die Leute genau, was sie erwartet und es gibt da auch eine lange Tradition. Late Night-Unterhaltung musst du dagegen immer wieder definieren. Das ist eben nicht Köln oder Berlin, wo das an der Tagesordnung ist, wo jeder zweite Comedy macht.
Stoye: Warum sollte man so eine Lobby einfordern? Ich finde die Shows in diesem subkulturellen Rahmen gut aufgehoben. Da gehören sie auch hin.
Kudernatsch: Zu mir kommen auch immer Leute: „Mensch, so was müsste man doch im Fernsehen machen, wieso machst du das nicht im Fernsehen?“ Naja, so einfach ist es eben nicht. Da geht ja viel verloren. Da kannst du ja nicht mal eben zwei Stunden machen, oder auf drei überziehen. Das würde ja eher auf eine halbe Stunde gequetscht. Du müsstest dich den „Zwängen des Mediums“ unterordnen.
Donis: Es ist aber so, dass dieses hervorragende Niveau, was geboten wird – da rede ich natürlich nicht nur von meiner Show – immer nur ein kleiner Kreis mitbekommt. Und es sollte eine viel größere Beachtung erfahren, was dort passiert.
Stoye: Ich glaube aber, dass sich die Show-Szene hier keinen Gefallen tun würde mit einer Fernsehpräsenz. Gerade du, Donis, müsstest dich mit „Toledo Nites“so eingrenzen, die Spontanität würde komplett verloren gehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du das willst.
Donis: Die freien Möglichkeiten im Ilses Erika müsste ich ja nicht aufgeben. Aber es wäre doch auch nicht uninteressant, mit dem, was man sich erarbeitet hat und dem bisschen Naturtalent auch mal Geld zu verdienen.
Das ist sowieso ein Thema für sich: Was treibt einen denn an, sich Monat für Monat derartige Mühe zu machen? Zum Lebensunterhalt wird es ja wohl nicht viel beitragen. Außer bei Andre vielleicht …
Kudernatsch: Nee, gar nicht! Das klingt jetzt total bescheuert, aber ich mache das, weil es mir selbst Spaß macht und weil ich es toll finde. Das ist die Motivation. Für mich ist das nicht wirklich gewinnbringend. Und da rechne ich noch gar nicht die Vorbereitungszeit rein oder die Telefonate. Meine Freundin sagt immer: „Das ist ein sehr teures Hobby.“
Niemann: Das stimmt. Ich mach das ja auch in meiner Freizeit, am Schauspielhaus bin ich für was anderes engagiert. Das Schlimmste ist echt die Vorbereitungszeit und was du alles selbst besorgen musst. Und für eine Late Night-Show ist der Theaterbetrieb einfach nicht ausgelegt. Aso setze ich mich hin und bastele oder kaufe etwas. Da stecke ich mehr Geld rein, als ich bekomme. Ich weiß aber genau, was Donis meint. Es gibt so Momente, wo man denkt: „Du reißt dir so dermaßen den Arsch auf und bist auch echt zufrieden, weil du gut bist. Aber jetzt noch 1,50 Euro dafür wäre schon nicht schlecht.“
Kudernatsch: Schade ist auch, wenn du einen guten Abend hattest – gerade mit Fips Asmussen und Olaf Schubert war es sehr lustig – und der ist dann einfach weg. Den gibts auch nicht als Mitschnitt. Da kann man dann noch in Erinnerungen schwelgen, aber das ist schade.
Donis: Was mich ganz besonders ärgert, ist Leipzig Fernsehen. Die werden ja nun wirklich zu Nullkommanull den Aufgaben gerecht, die sie eigentlich haben sollten.
Von einem Leipzig Fernsehen, das noch nicht mal in der Lage ist, die OBM-Wahlen zu begleiten, kann man wohl kaum ein Interesse für die Show-Szene erwarten.
Donis: Jede Klitsche hat einen offenen Kanal, wo du mit einem Konzept hingehen kannst und was vorschlagen. Das fällt hier weg. Hier gibts Leipzig Fernsehen, wo Leipzig nicht stattfindet, außer in einer 80 mal am Tag wiederholten „Drehscheibe“.
Niemann: Dabei könnten die sich doch einfach mal in so eine Show reinhängen …
Kudernatsch: Das haben die ja mal bei mir gemacht. Aber ohne mich zu fragen. Die sagten, sie machen einen Bericht, als Tiefensee auf der Kautsch war. Und irgendjemand erzählte mir dann: „Mensch, du arbeitest ja jetzt bei Leipzig Fernsehen.“ Da haben die eine halbe oder gar dreiviertel Stunde verwendet und auch immer schön wiederholt. Die haben ihr Programm gefüllt, ohne dass da irgendwas verabredet war.
Donis: Es läuft normalerweise ja so, dass du hinkommen kannst – und dann wird dir aufgerechnet, was die Minute kostet. Du müsstest dich also einkaufen.
Stoye: Ich begreife das, seit ich Shows mache, tatsächlich als Hobby. Das muss neben allem anderen laufen, was mir die Miete einbringt. Es ist eine Möglichkeit, einmal im Monat ein Programm zu gestalten, was man selbst im Kopf hat und auf die Bühne bringt. Für mich ist das – mal pathetisch gesagt – die Möglichkeit, Kostbarkeiten des Alltags einzufangen und den Leuten zu präsentieren. Und zu schauen, wie sie darauf reagieren. das reicht mir schon völlig.
So eine Show hat schon etwas Messianisches. Sachen vorzustellen, die einem am Herzen liegen.
Kudernatsch: Es ist ja auch was Tolles, wenn man die Leute zum Lachen bringt.
Niemann: Genau, da geht einem das Herz auf! Man kriegt da eine ganz dicke Brust. Dafür macht man es. Ich finde es total befriedigend, wenn die Leute klatschen, was sie ja auch immer wieder tun, und danach trinken und tanzen. Wunderbar, alles ist gut!
Donis: Man hat die Macht und Möglichkeit, und das schätze ich auch sehr, Leuten etwas aufzudrücken, was einen selbst anmacht. (Zustimmung in der Runde) „Ich find das geil, damit befasst ihr euch jetzt die nächsten zehn Minuten!“
Kudernatsch: Dass man denen auch was unterjubelt. Ich lade zur Show ja Leute ein, die ich richtig toll finde – oder eben Leute, die ich richtig kacke finde. Das fetzt, wenn du den Leuten sagst: „Guckt euch jetzt diesen Menschen an!“
Niemann, Kudernatsch (gleichzeitig): Das macht einfach Spaß!
Wenn man euch die Mittel geben würde, das Budget für eine richtig geile Show – würde das nicht den Trash-Faktor zunichte machen, den Charakter der Show zerstören?
Niemann: Ich hab das bei dieser AIDS-Gala gemerkt. Das wird komplizierter. Ich finde, es wird eher anstrengend und man versucht, etwas anderes nachzumachen. Und was wir jetzt alle machen, ist was Eigenes.
Donis: Ich sag mal: Ein bisschen Budget wär geil. Dann könnte man sich schon sehr viel erleichtern. Es kommt aber auch drauf an, wo das Budget herkommt. Ich hab die Angstblase, dass mit einem Budget auch irgendwelche Erwartungen reinkommen, an die du dich halten musst. Oder die du im Hinterkopf hast. An die du dich vielleicht sogar hältst, wenn du agierst. Ein bisschen wär also okay, aber richtig viel verändert die Show.
Kudernatsch: Durch die Sponsoren hat sich die Show schon ein bisschen verändert. Sie ist nicht mehr ganz so trashig, ist ein bisschen erwachsener geworden, ein bisschen professioneller. Und wenns noch mehr Geld geben würde, dann würde ich gern Sachen für die Show kaufen, ein bisschen mehr Ausstattung. Mehr Müll, den ich den Leuten schenken kann.
Stoye: Ein höheres Budget erhöht auch automatisch die Erwartungen. Deshalb bin ich mit dem Status Quo ganz zufrieden. Momentan sind wir ein paar Leute, die ungefähr wissen, was sie tun. Mit erhöhtem Budget würden so viele offene Fragezeichen dazu kommen: von „Wie viele Gäste kommen?“ bis „Was wollt ihr denn erreichen?“. Aber es ist ja genau, was ich genieße an dieser Show, dass ich einmal die Möglichkeit habe, zu tun, worauf ich Bock hab. Dieses Gefühl von Selbständigkeit würde mit einem höheren Budget wohl verloren gehen.
Niemann: Das gute an einem höheren Budget wäre, dass man die Leute irgendwie entlohnen kann. Diese ganzen Leute, die einem nebenbei ganz große Gefallen tun.
Stoye: Das finde ich an Leipzig ja so charmant, dass es funktioniert, dass man den Leuten sagen kann: Ich brauche das und das – und vice versa.
Kudernatsch: Meine Assistentin Sanne arbeitet in Magdeburg, lebt in Halle und kommt dann direkt von Magdeburg nach Leipzig zur Show. Für ’nen Appel und ’n Ei. Die ist toll!
Die Showmacher
Andre Kudernatsch, 35, ist freier Kulturjournalist für MDR „Figaro“ und „artour“. Nebenher schreibt er Bücher wie „Alles Wurscht. Reime gegen Käse“ oder „Suffis Welt“, besingt und bespricht CDs wie „Hana Jensel – Zonenrinder“ und ist im Moment in ein „Punk-Projekt“ involviert.
Seit 1998 lädt er Gäste auf „Kudernatschs Kautsch“, zuerst in Ilses Erika, seit knapp sechs Jahren in der Moritzbastei. Damit ist sie die am längsten existierende Show in Leipzig. Prominente Gäste waren bisher zum Beispiel Roberto Blanco, Herbert Feuerstein, Gojko Mitic, Fips Asmussen, Wolfgang Tiefensee oder Achim Mentzel und Wolfgang „Lippi“ Lippert. Die 100. „Kautsch“ wird am 8. Juni in der Moritzbastei gefeiert. Vorher, am 26. April, widmet sich eine „Schwarze Kautsch“ speziell der „Gruftie“-Szene.
Anja Niemann, 31, ursprünglich mit Abschluss als Kauffrau im Einzelhandel, sammelte als PR-Frau in Magdeburg erste professionelle Erfahrungen in Theaterarbeit. Nach einigen Jahren als Gegieassistentin und Regisseurin und entsprechenden Arbeiten in Wuppertal, Essen, Magdeburg, Leipzig und Dresden, ist sie seit 2003 als Disponentin im im Künstlerischen Betriebsbüro am Schauspiel Leipzig tätig.
Als Show-Moderatorin kann man sie im Talk-Show „45 Umdrehungen“ in der Moritzbastei erleben sowie in der (fast) all-freitäglichen „Notaufnahme“ im ehemaligen „Horch & Guck“ des Schauspielhauses in der Gottschedstraße.
Janine Stoye, 27, macht gerade ihren Magister in Anglistik und Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Uni Leipzig und arbeitet als selbständige PR-Frau für diverse Firmen. Journalistische Erfahrung sammelte sie bei verschiedenen Print- und TV-Medien sowie vor allem durch ihre Mitarbeit beim Uniradio Mephisto. Aktiv ist sie außerdem im „Freundeskreis der Qualität in der Medienkultur“ und (vor allem beim naTo-Cup) gefürchtet als beinharte Hobby-Fußballerin.
Nach zwei Jahren „passiert. notiert.“, dem Monatsrücklick mit Video-Portraits, Pressespiegel, Plattenrezensionen, Prosa, Lyrik und Live-Musik in Ilses Erika, ist soeben das neue Format „Unten mit …“ gestartet. In der Tangofabrik werden Bands und Musiker verschiedener Couleur vorgestellt, interviewt und live präsentiert.
Ralf Donis, 37, hat sein bürgerliches Leben im Institut für Geophysik schon vor Jahren an den Nagel gehängt und ist Musikfans noch als Sänger der legendären Band Think About Mutation in Erinnerung. Er gilt als einer der renommiertesten DJs der Stadt (Ilses Erika, Disco im Werk II), schreibt vor allem über Musik in Persona Non Grata und KREUZER und ist obendrein Horrorfilm-Experte.
Nach diversen Late Night-Formaten im Ilses Erika („DU Show“, „Leipzig DC“), läuft derzeit die aktuelle Staffel der „Toledo Nites“. Gemeinsam mit Partner Tobias Rentsch wird der alltägliche Wahnsinn in Politik, Kultur und Medien seziert. Gern spielt das Duo dabei mit den Grenzen von gutem Geschmack und kalkuliertem Tabubruch.